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Was zeigt die Kollektion?

  • Ein künstlerisches Luftbild-Projekt, das sich mit den opulenten Blautönen der Schmelzwasserseen auf dem Grönländischen Inlandeis beschäftigt.

  • Der exzentrische Bilderreigen wird durch aus der Luft aufgenommene Struktur-Studien der Oberfläche des Eisschilds abgerundet.

Es gibt Motive, die finden sich abseits des kreativen Prozesses bereits auf materielle Ebene in einem so komplexen Spannungsfeld, dass man von ihrer Erschließung nicht zu träumen wagt.

Jahr für Jahr spielt sich auf dem Grönländischen Inlandeis das gleiche Naturschauspiel ab. Sobald der der Sommer naht, bilden sich am Rand dieser riesigen, etwa der fünffachen Fläche Deutschlands entsprechenden Eiswüste, große Schmelzwasserseen. Diese werden von einem Netz aus Bächen, Flüssen und Strömen in Richtung Meer entwässert werden. Die Seen verschwinden wieder, sobald es kälter wird - sei es durch den kontinuierlichen Abfluss oder durch die Öffnung von Siphons tief in den Spalten und Klüften des Eises - was nicht selten zu einer nahezu schlagartigen Entwässerung führt. Das Wasser filtert alle Spektralfarben aus dem Tageslicht bis schließlich nur noch Blautöne übrig bleiben, die am eisigen Grund der Seen gestreut und reflektiert werden. Somit bewirkt die Physik, dass diese Seen in einem geradezu überirdisch intensiven Blau erstrahlen, obwohl es sich um vorkommen klares Schmelzwasser handelt.

Als ich vor 8 Jahren bei einem Flug über den gigantischen Kangia-Eisfjord bei Ilulissat (Grönland) erstmalig einen kurzen Blick auf das Blau der sich in den Furchen des produktivsten Gletschers der nördlichen Hemisphäre bildenden sommerlichen Schmelzwasser-Seen erhaschen konnte, hat mich dieses Naturwunder in seinen Bann gezogen. 

Kurz darauf sah ich bei einem Transit-Flug, dass sich ca. 50 km Landeinwärts an den Rändern des Grönländischen Eisschilds noch viel größere Seen gebildet hatten. Doch aus der Perspektive des hoch fliegenden Verkehrsflugzeugs war es mir nicht möglich, mehr als eine Handvoll abstrakter Interpretationen des Themas aufzunehmen.

Ich habe in den darauf folgenden Jahren in Grönland mehrere Flüge in Kleinflugzeugen unternommen, aber diesen Seen kam ich nie auch nur nahe. Sie liegen viel zu weit abseits klassischer “Sightseeing“-Flugrouten. Trotzdem gab es ein paar glückliche Zufallsbegegnungen mit blauen schimmernden Gewässern an den Gletschern, döse waren jedoch nie aber nie intensiv genug für ernsthafte fotografische Projektarbeit. Erst ein besonders weit ausgreifender Flug im Jahr 2016 brachte mich in die Nähe dieser Seen - da es sich allerdings nicht um einen ausschließlich privaten Flug handelte, blieben meine Möglichkeiten auch hier begrenzt.
Durch die bei diesen Flügen gesammelten Erfahrungen standen mir die Grenzen und Fußangeln des Sujets klarer denn je vor Augen. Hatte ich bisher immer nur auf das bloße (jahreszeitlich bedingte) Vorhandensein der Seen, das Wetter und das Licht geachtet, lernte ich zudem einen weiteren Faktor kennen, der für das Gelingen von essentieller Bedeutung war, nämlich die Fähigkeiten des Piloten bzw. der Pilotin.
Wenn die Kommunikation zwischen Fotograf und Flugzeugführer nicht klappt und der Pilot es in der Folge nicht schafft, den für den Fotografen optimalen Anflugwinkel zu antizipieren, kann auch ein Flug unter ansonsten perfekten Bedingungen ohne nennenswerte Ergebnisse bleiben - denn was hilft es, wenn das Motiv im Moment des Vorbeiflugs in einem kaum erreichbaren Winkel unter dem Flugzeug liegt?

Unter der Prämisse, dass für mich als eigenfinanziertem Fotokünstler nur eine Aktion unter perfekten Bedingungen das Kostenrisiko eines 100% individuell arrangierten Fluges - rechtfertigen würde, hieß es nun, auf die nächste Gelegenheit zu warten. Diese ergab sich erstmalig während meiner Grönlandreise im Sommer 2018.
Das Wetter war vielversprechend, das Licht geprägt von wunderbarer Nachmittagssonne. Und schon während des Flugs von Ilulissat nach Kangerlussuaq sah ich weit am Horizont auf dem Eis ein paar blaue Punkte - “sie” waren also da.

In Kangerlussuaq angekommen stellte sich heraus, dass zu dem Zeitpunkt dort eine junge Pilotin den Dienst mit dem Kleinflugzeug inne hatte. Schon nach einem kurzen Gespräch verfestigte sich in mir ein positiver Eindruck - ich hatte das Gefühl, dass sie nachvollziehen konnte, was mir fotografisch vorschwebte. Eine kurze Inspektion des Flugzeugs, und der Deal stand. Ich lud meinen Grönländischen Freund Adam ein, mich auf dem Flug zu begleiten (er warf noch ein paar hundert Dänische Kronen in den Topf, um uns ein paar zusätzliche Minuten in der Luft zu kaufen) - und eine halbe Stunde später standen wir startbereit auf dem Rollfeld.

One shot, one opportunity

Perfektes Licht, perfektes Wetter - jetzt galt es, keinen Fehler zu machen. Ich warf ich die Erfahrung all meiner Flüge in die Waagschale: Vibrationsvermeidung, optimale Belichtungszeiten, Wechsel der Lichtsituationen: alles musste perfekt sitzen. 90 Minuten Flug waren geplant, mit An- und Rückflug würde mir kaum eine Stunde über dem Eis bleiben. 

Ich bemerkte, dass über dem Inlandeis beide Motoren ausfielen und dass mein Freund Adam nur noch wie versteinert hinter mir saß, während die Pilotin mit konzentrierten Handgriffen versuchte, die Maschinen wieder zum Laufen zu bringen. Es war für mich in dem Moment nur eine Randnotiz. Ich habe einfach weiter fotografiert. Als die Motoren wieder liefen und die Pilotin erklärte, dass aufgrund unserer ständigen Rechtskurven der Treibstoff auf eine Seite geflossen war, so dass die Motoren keinen Sprit mehr ansaugen konnten, klang das plausibel. Dass wir nach jeder dritten Rechtskurve nun eine Linkskurve fliegen sollten um den Treibstoff im Tank zu verteilen war für mich auch O.K. - solange wir nur weiterhin so präzise um die Seen zirkelten.

Nur selten habe ich es bisher geschafft, mein rationales Denken in diesem Ausmaß in den Hintergrund zu stellen und mein Handeln völlig auf meine Intuition zu verlagern. Sehen, vorausahnen, das Bild gestalten und auszulösen - das alles war auf diesem Flug kein bewusst gesteuerter Prozess mehr. Die Arbeit mit den Flächen und Formen, durch das ständig in Bewegung befindliche Flugzeug ein Moment flüchtiger als der andere: für jedes Bild gab es genau eine Gelegenheit von der Dauer eines Lidschlags, denn auch ein erneuter Anflug aus der gleichen Richtung ließ die Reproduktion einer verpassen Situation einfach nicht mehr zu.